Jede Woche
eine neue
Kurzgeschichte
Ich veröffentliche hier jede Woche
eine neue Story aus meinem Buch
“halb angekommen”.
Wenn Euch der Inhalt gefällt, gibt
es in meinem Buch schon alle
Stories vorab und einige, die nicht
online veröffentlicht werden.
An einem heißen Freitagabend im September stand Sydney Schwarz im Bad ihrer neuen Wohnung in New York, als sie einen Anruf ihrer Mutter auf dem iPhone sah und ihn wegdrückte. Sydney wunderte sich. Schon der zweite Anruf von ihr heute, obwohl sie doch wusste, dass es an den Wochenenden immer stressig für Sydney war. Ihre Follower bei Instagram hatten gerade 1,4 Millionen erreicht. Mittlerweile hatte sie ein gutes Einkommen, das es ihr ermöglichte, ein großes Loft in einem angesagten Neubau in Brooklyn zu kaufen.
Die Designerstühle für das Esszimmer, die normalerweise 2.500 Dollar pro Stück kosteten, erhielt sie im Tauch für einen Social Media Post. Das angesagte Möbelhaus aus Manhatten lieferte gleich zehn. Skandinavisch schlichtes Design, Holzbeine und Rückenlehne aus Kalbsleder. Es waren nicht die gemütlichsten Stühle, aber sie passten perfekt zum 650kg schweren Marmortisch, der rund in der Mitte des Raumes stand. Sydney musste extra mit der Baufirma des Hauses absprechen, ob sie den Tisch hier platzieren konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass er irgendwann beim Nachbar in der 23. Etage durchbrach. „Bis zu zwei Tonnen sind in Ordnung, aber bitte nicht darauf tanzen“, hatte der Mann am Telefon gesagt. Sydney hatte nicht ans Tanzen gedacht.
Jetzt stand sie im Bad und föhnte die halblangen, blonden Haare. Ihre Großmutter nannte sie immer liebevoll ihren „Goldengel“. In ihrem Social Media Profil bekam sie Fragen nach ihrem Shampoo. Dabei hatte sie immer nur nach Geruch entschieden. Bis sie 15 war, nutzte sie meist einfach das Shampoo ihres Vaters, das in der gemeinsamen Dusche im Elternbad stand. Es war eigentlich für graue Haare. Vor anderthalb Jahren hatte sie einen Vertrag mit einer Kosmetikfirma unterschrieben, dessen Flagship-Stores nur in den schönsten Städten der Welt standen und aussahen, als würde man dort normalerweise Yogakurse abhalten. Sie bekam nun einmal im Monat ein großes Paket mit Produkten. Die meisten verschenkte sie. Von dem neuen Hundeshampoo sollte sie einmal im Monat ein kurzes Video machen. Sie hatte das schon zweimal vergessen, weil sie fand, dass Louis, ihr Maltipoo, der meistens bei der Haushälterin schlief, bereits sauber genug war. Von ihrer Managerin hatte sie dafür ein paar böse Anrufe erhalten. Sie verstand das nicht. Durch den schnellen Followeranstieg auf 300.000 hatte Louis der Firma ohnehin schon viel mehr Sichtbarkeit als geplant gebracht.
Sydney stieß ein launisches Seufzen auf, als sie sah, dass aus ihrer linken Achselhöhle wieder ein wenig Blut gerann. Vor drei Wochen hatte sie ihre Brüste axillär von einem B-auf ein D-Körbchen vergrößern lassen. Pralle Tropfenform. Heute sollte der erste Tag sein, an dem sie wieder schulterfrei auftreten konnte. Ihr Dekolleté würde alle anderen Models neidisch machen. Sie wollte unbedingt eine Narbe unter der Brust vermeiden, da sie auf ihren Bikinibildern gelegentlich die Unterseite der Brust hervorblitzen ließ und auch über einen Account auf einer nicht jugendfreien Internetseite nachdachte. Obwohl sie gerne Sex hatte, würde sie niemals Pornos drehen, aber ihre enge Freundin Tiffany hatte allein mit Nacktbildern innerhalb eines halben Jahres fast zwei Millionen Dollar verdient und sich eine noch bessere Wohnung in Williamsburg, mit direktem Blick auf die Brooklynbridge und den Hudson River gekauft. Dazu traf Tiffany sich seit Kurzem mit einem bekannten Footballer der New York Giants und es sah so aus, als wäre sie aktuell wirklich seine einzige Freundin. Sydney hatte einmal den Quarterback kennengelernt, aber der war dann doch schon vergeben.
Nun schaute Sydney auf ihre neue Rolex mit türkisem Zifferblatt und war langsam gestresst. Die Party des Schauspielers, der sie eingeladen hatte, ging schon bald los. Sie wollte zwar nicht pünktlich kommen, aber auch nicht viel zu spät. Bei solchen Parties gab es keinen roten Teppich, aber es warteten immer ein paar Paparazzi auf den Bürgersteigen und es war die beste Publicity, wenn man auf Fotos so abgelichtet wurde, als wäre es ungewollt. Dazu wollte sie unbedingt die goldene Stunde abpassen.
Sydney kämmte ihr seidiges Haar. Es sah gut aus. Sie schaute auf ihren Bauch, an dem alle Bauchmuskeln und Rippen zu erkennen waren und musste wieder lächeln. Das Personal Training hatte gewirkt. Nur ihren Po fand sie immer noch zu flach, dafür waren die Brüste nun wirklich perfekt.
Nach dem Schminken wurde Sydney wieder wütend. Ihr bester Freund, und mittlerweile Assistent, George, mit dem sie Mode an einer angesagten Privatuni studiert hatte, hatte es nicht geschafft ihr ein neues Kleid zu organisieren. Sie entschied sich deshalb für einen eher lässigen Look. Weite Jeans mit Schlag, beiges, ärmelloses Top – die Narbe hatte sie überschminkt – und ein neonblauer Anglerhut. Nebenbei tippte sie hektisch auf ihr Handy und antwortete auf vier neue Nachrichten. Plötzlich knackte es - der Nagel ihres Zeigefingers brach ab. Ein kurzer Moment der Fassungslosigkeit. Dann das nächste Desaster: Ihr Concealer glitt aus ihrer Hand und landete auf ihrem Top. Ein dunkler Fleck auf dem Stoff - ruiniert. „George, hör zu“, sagte Sydney energisch ins Handy, „du bist für fünf Tage raus. Und vergiss die Party morgen Abend".
Dann ging sie hektisch zum Kleiderschrank. Drei Kleider landeten auf dem Bett. Alle kosteten über eintausend Dollar.
Das hellblaue kurze, mit eingenähten weißen, klassischen Verzierungen, hatte sie letzten Sommer schon mal an, als sie auf dem Boot eines Techmillionärs in den Hamptons eingeladen war. Das Foto von ihr in seinem Arm war um die Welt gegangen. Er hatte doch schon seit 25 Jahren eine skandalfreie Ehe geführt.
Das rote Seidenkleid wäre mit schwarzen Heels perfekt gewesen, aber Sydney hatte von ihren Lieblingsheels gerade letztes Wochenende die Sohle abgebrochen.
Es blieb eigentlich nur noch das Gelbe, das ihr eine große Modekette gesendet hatte, ihr aber nie wirklich gefallen hatte.
Sydney fiel auf das Bett. Sie schrie in das Kissen. Dann fing auch noch Louis an zu bellen. Sie hatte vergessen, ihn abzugeben. Wieder einmal Tränen. Das Make-up verschmierte. Sie dachte jetzt, dass ihr das alles zu viel werden würde und sie einfach gerne wieder 15 wäre und abends mit ihrer Großmutter erst Backen und danach „Wer wird Millionär“ schauen würde.
Dann wieder das Telefon. Sie sah nicht mal hin, drückte den Anruf weg und weinte noch hemmungsloser. Nach knapp drei Minuten sagte sie sich das, was sie sich in solchen Situationen immer sagte: „Du bist privilegiert und letztlich wird es dir heute Spaß machen. Bald wird alles entspannter.“ Sie überlegte dann auch, heute das Koks wegzulassen, damit die Depressionen am nächsten Tag nicht zu stark würden.
Als Sydney sich gerade neu geschminkt hatte, klingelte ihr Handy. Wieder ihre Mutter. Diesmal ging sie widerwillig ran. „Sydney, Schatz, ich muss dir etwas sagen“. Sie konnte die Stimme ihrer Mutter zittern hören. „Es ist wirklich Lungenkrebs bei Papa. Die Ärzte sagen, dass er Weihnachten wahrscheinlich nicht mehr mit uns feiern kann“. Das Telefon fiel aus ihrer Hand. Das Display war gesprungen, aber ihre Mutter war noch dran. Sie nahm das Handy, überlegte kurz und erwiderte: „Mama, mein Handy scheint kaputt zu sein. Ich kann dich leider kaum hören, aber melde mich morgen früh direkt bei dir.“ Dann legte sie auf.
Sydney beschloss, sich am nächsten Tag wirklich ändern zu wollen, aber dieses Event konnte sie nicht verpassen. Sie ging zum Schrank und nahm einen schwarzen Rollkragenpullover. Ihr Vater hatte ihn ihr vor zwei Jahren geschenkt. Auf den Ärmeln waren die Initialen ihrer Eltern eingestickt. Sie hoffte, dass ihre Eltern vielleicht noch ein Bild der Paparazzi sehen würden. Sie wusste, dass sie dem Account SydneySchwarz Fanpage folgten.
Van Gogh starb mit 37 an einem Schuss in die Brust, den er sich zwei Tage zuvor auf einem Feld, in einem unbedeutenden französischen Dorf im Norden Frankreichs wahrscheinlich selbst zugefügt hatte. Es muss ein schmerzhafter, grausamer, elendiger Tod gewesen sein. Sein jüngerer Bruder Theo, der ihn sein Leben lang finanziell durchgebracht hatte, schaffte es gerade noch an sein Totenbett. Van Gogh war Alkoholiker, verwahrlost, von den eigenen Eltern missachtet, hatte die meisten Zähne verloren und litt unter Halluzinationen und epileptischen Anfällen. Knapp ein Jahr zuvor schnitt er sich sein Ohr ab, brachte es der Lieblings-Prostituierten seines Stammbordells mit der Bitte, es für ihn aufzubewahren. Sie wurde ohnmächtig. Für viele ist diese Geschichte der Inbegriff dafür, dass Genialität und Wahnsinn nah beinander liegen. Kurze Zeit darauf wurde er der Stadt verwiesen und endete in einer Nervenheilanstalt. Zu Lebzeiten verkaufte Van Gogh nur ein einziges Bild für einen lächerlichen Preis. Die Pariser Kunstszene mochte ihn nicht. Der Wahnsinn wurde ihm bescheinigt, die Genialität nicht.
Am 9. November 2022 wurde van Goghs „Obstgarten mit Zypressen“ für 117.180.000 Dollar verkauft. Das Gemälde zeigt die Winterlandschaft von Arles, 1888. Van Gogh war hierhergezogen, um im goldenen Licht von Südfrankreich zu malen und sich für viele Hunderte Landschaftsbilder inspirieren zu lassen. Er träumte von einer Künstler-gesellschaft mit einer Vereinigung für Maler. In dem Studio, das er dafür mietete, hängte er seine berühmten Sonnenblumen auf. Einer der wenigen Künstler, die ihn dort tatsächlich besuchten, Paul Gauguin, empfahl ihm diese Bilder nicht zu verkaufen. Sie seien zu schön und er solle sie für sich behalten.
Im September 2023 komme ich in Arles an. Ich fahre durch die engen, wunderschönen, alten Gassen, parke direkt vor meinem Hotel „L’Arlatan“ und gebe meine Koffer ab. Das Hotel, die Schönheit der Stadt, die Farben des Lichts und die ersten warmherzigen Eindrücke der Menschen in der Stadt übertreffen meine Erwartungen. Ich fühle mich wohl und denke, dass ich hier perfekt den Zweck meiner Reise erfüllen kann: endlich meine Kurzgeschichten zu schreiben und vielleicht noch einige Ideen für etwas Neues zu gewinnen.
In den ersten beiden Tagen lasse ich es mit dem Schreiben ruhig angehen. Ich wusste nicht, dass zur Zeit meines Besuches das 'Les Rencontres d‘Arles' stattfindet. Ein Fotofestival, mit den besten internationalen Fotografen. In allen Ecken der Stadt gibt es Expositionen. Ich tanke Inspiration. Das ist gut. Auch die Einsamkeit stört mich nicht. Ich merke, dass wenn man alleine unterwegs ist, Gedanken in einem hochkommen, die sehr tief verborgen sind. Das ist als wäre man dauerhaft in einer psychologischen Sprechstunde mit sich selbst. Arles ist kein Partyort. Ich kann hier auch nicht in eine Bar gehen, mich betrinken und auf eine Liaison hoffen. Stören tut mich das nicht.
Am dritten Tag bin ich der Ausstellungen müde und lese während des Frühstücks im Reiseführer, was man sonst noch unternehmen könne. Dabei gibt es einen Abschnitt über eine der bedeutendsten Geschichten der Stadt: derer Vincent van Goghs. Ich beschließe die „Van Gogh Stiftung“, die gleich um die Ecke des Hotels liegt, zu besichtigen. Auf dem kurzen Weg werde ich nachdenklich. Ich verspüre eine Abart in dem Kontrast von Van Goghs erfolglosem Leben und seiner heutigen Berühmtheit. Warum funktionieren manche Geschichten der Menschheit so? Die aktuelle Schönheit der Stadt ist sicher auch durch van Goghs Werk begründet. Tausende Touristen kommen jedes Jahr nur deshalb hierher.
Meinem Unwohlsein muss ich auf den Grund gehen. In der Van Gogh Stiftung gibt es immerhin fünf Originale. Ich stelle mich vor jedes Gemälde und frage mich, ob dies nun wirklich gut sei, oder ob dies auch ein Kind hätte malen können, so wie ich es manchmal bei einigen berühmten Künstlern dachte. Kunst liegt im Auge des Betrachters, aber gleichzeitig glaube ich an gutes Handwerk. Ich versuche ehrlich zu mir zu sein. Schon beim dritten Bild bin ich überzeugt. Das ist verdammt gut. Das ist innovativ. Das ist genial. Die Missgunst in mir, dass dieser Mann nicht verstanden wurde, wird größer. Es trifft mich.
In der Stiftung gibt es einen schönen Museumsshop. Als ich dort ankomme, ist er überfüllt. Eine Horde Touristen drängt sich an den Aufstellern vorbei. Ich blicke über gealterte Schultern auf die Tische, auf denen die Bücher liegen. Ich entscheide mich schließlich für ein autobiografisches Buch mit van Goghs wichtigsten Briefen an seinen Bruder Theo. Sein Leben wird in seinen eigenen Worten erzählt. Dazu kaufe ich ein Poster der Stiftung, mit einem Gemälde, dass die Anstalt aus Saint-Rémy-de-Provence zeigt, in der Van Gogh behandelt wurde. Ein wunderschönes Gebäude. Der Kassierer lobt mich auf Französisch: „Bon choix!“
Am Nachmittag liege ich in der Sonne am Pool des Hotels und lese van Goghs Briefe. Meine Umgebung ist wundervoll. Das Design des Hotels ist so einmalig, dass ich nicht aufhören kann Fotos zu machen. Mir sollte es fantastisch gehen, trotzdem fühle ich mich mittlerweile extrem melancholisch. Mir geht unsere Gesellschaft und was für eine riesige Rolle Anerkennung spielt, durch den Kopf. Heutzutage holt man sich diese innerhalb Sekunden auf seinem Social Media Profil.
Genauso schnell ist sie wieder weg. Van Gogh empfand diese Gefühle wohl sein ganzes Leben nicht. Ich frage mich, wieso er überhaupt so lang durchhielt.
Am nächsten Tag beschließe ich, dass ich wieder besser gelaunt sein müsse. Auch die Kurzgeschichten würde ich zu sehr schleifen lassen. Dieser Schwermut verlässt mich aber nicht. Ans Schreiben ist so nicht zu denken. Man würde meinen Trübsinn in den Texten erkennen können. Ich schaue mir zwei Fotoausstellungen an. Auch diese berühren mich nicht mehr. Dann setze ich mich gegen drei Uhr nachmittags auf eine Bank im Schatten einer ruhigen Straße und denke verzweifelt nach. „Was machst du hier eigentlich? Du bist allein unterwegs. Mach doch einfach, was du willst.“ Ich fühlte mich wie entfesselt. Nach den detaillierten Beschreibungen in den Briefen, in denen es so klingt, als wäre Van Gogh auf dem Weg der Besserung, musste ich mir die Heilanstalt in Saint- Rémy-de-Provence anschauen.
Den knapp 30 Kilometer weiten Weg fahre ich in meinem Cabrio über die schönen Landstraßen. Die Sonne scheint. Die Landschaft ist malerisch. Nach einer halben Stunde erreiche ich die „Maison de Santé de Saint-Paul“, der Heilanstalt, in der Van Gogh knapp über ein Jahr bis kurz vor seinem Tod lebte. Ein wenig aufgedreht gehe ich etwas zu schnell durch den Eingang und werde von einem jungen Franzosen gestoppt, der mich erinnert, dass ich noch ein Ticket kaufen müsse. Natürlich. Ich bezahle und endlich gehe ich direkt dahin, wo es mich ununterbrochen tief in mir hingezogen hatte: in das Krankenzimmer Vincent van Goghs. Der Raum ist gut erhalten. Er ist recht klein, aber genauso wie es in den Briefen beschrieben ist.
„Hinter den vergitterten Fensterscheiben befindet sich ein wundervolles Feld mit Lavendel, Korn und Zypressen“. Van Gogh malte hier weiter und fertigte ungefähr 150 Werke an. Darunter die berühmte „Sternennacht“. Irgendein Stein fällt mir vom Herzen. An der Wand sind ein paar Tafeln mit Erklärungen. Die Klink war durchaus renommiert. Trotzdem wird zugegeben, dass hier Praktiken eingesetzt wurden, die heute nicht mehr zeitgemäß sind. Patienten bekamen Mittel, um sich regelmäßig zu übergeben, sie wurden geschröpft, das Blut sollte sich erneuern, damit das verrückte Blut entweiche, kochendes, oder eiskaltes Wasser wurde eingesetzt. Man kann es sich nicht vorstellen. Und trotzdem stellt man es sich vor.
Nachdem ich das Zimmer gesehen hatte, gehe ich durch die alten Gemäuer in den Hofgarten. Als ich die Meterhohen Sonnenblumen sehe, die so aussehen, als hätte Van Gogh sie dorthin gezeichnet, bekomme ich ein zweites Mal Gänsehaut. Der Kontrast zwischen dem Paradiesischen und dem Tragischen ist allgegenwärtig.
Bevor ich das Anwesen verlasse, setze ich mich bei der etwas komischen, übermässig großen Statue von Van Gogh auf eine Mauer in die Sonne. Ich denke, „du musst zumindest ein gescheites Foto mit dieser Staute machen und es darf kein Selfie sein“. Ich beschließe, die nächsten Touristen zu bitten, mir zu helfen. Eine unangenehme lange Weile tut sich nichts. Verstörte Schreie und komisches Raunen aus dem Nachbargarten. Jetzt realisiere ich, dass sich nur 10 Meter weiter immer noch eine aktive Nervenheilklinik befindet. Wieder eine Kluft zwischen Wahnsinn und Schönheit. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen zwei Touristen vorbei. Ich frage höflich nach dem Bild.
Die beiden sind Amerikaner, aus Portland und natürlich gesprächig wie die meisten Amerikaner. Sie machen das perfekte Bild von Van Gogh und mir. Ich mache das perfekte Bild von Van Gogh und Ihnen. Wir scherzen noch ein wenig über die Schönheit der Provence. Sie wollen noch nach Arles. Ich gebe ein paar Tipps. Als der Amerikaner auf dem Parkplatz sieht, wie ich in mein Cabrio steige, sagt er: „Nice car, man“. Ich entgegne: „Thank you! Have a nice trip.“ Danach verlasse ich Saint-Rémy-de-Provence.
Auf der Rückfahrt durch die weiten Felder, im goldenen Licht des Spätsommers der Camargue bin ich in Gedanken. Ich erkenne, wie sehr ich selbst von Anerkennung abhängig bin. Dabei habe ich fast alles. Meine Eltern lieben mich, die Familie ist intakt, sie sind stolz auf mich, ich habe einen der beliebtesten Jobs, ein gutes Einkommen, bei vielen Frauen komme ich gut an, ich habe fantastische Freunde, und immerhin sitze ich in einem Porsche Cabrio, fahre durch Südfrankreich und wohne in den besten Hotels der Städte, die ich besichtige. Wenn ich das Gaspedal nur leicht herunterdrücke, surrt der Wagen und ich gleite perfekt durch die Kurven. Der Wind streichelt mein Haar.
Trotzdem bin ich oft unsicher, in Gedanken, habe Selbstzweifel, frage nach dem Sinn des Lebens, habe Ziele, die ich bisher nicht erreichen konnte und habe Sorge um die Gesundheit meiner Liebsten. Die Schnelllebigkeit unserer Generation drückt. Das Gaspedal oft unkontrolliert. Die Fahrt nichtgelassen.
Mich quält der Gedanke, wie Van Gogh seinen Misserfolg so lange aushalten konnte. Ich denke mittlerweile, dass ich viel früher verrückt geworden wäre und frage mich, ob ich nicht auch manchmal depressive Phasen habe.
Am Abend bleibt mir nichts anderes übrig, als mich in der Hotelbar zu betrinken, um endlich wieder bessere Stimmung einzuleiten. Ich habe schließlich nicht oft Ferien. Schon die letzen Abende saß ich am Tresen dieser Bar. Die Stimmung ist gut, aber es gibt wenig interessante Gäste. Nur die Barkeeperin, Clementine, ist spannend. Sie ist burschikos, hat einen seltsamerweise gut aussehenden VoKuHiLa, zahlreiche Tattoos am linken Arm, spricht gutes Englisch mit diesem fantastischen französischen Akzent, ist im gleichen Alter wie ich und obwohl, oder gerade weil es nichts Sexuelles ist, verstehen wir uns blendend.
Ich denke, nach dem vierten Drink merkt sie, dass mit mir etwas nicht stimmt. Wir beginnen ein gutes Gespräch. Ich bringe meine Gefühle auf den Tisch. Sie trocknet nebenbei die Gläser und mixt einen Espresso Martini. „Was ist das nur für ein Leben, in dem man so viel Ablehnung erhält? Wie kann man trotzdem so genial sein und so viel Durchhalte-vermögen haben?“ frage ich sie. Dabei lehne ich mit ganzem Oberkörper und den Armen ausgestreckt auf der Bar. Sie lacht und sagt „Du musst nicht so schwermütig sein. Ich denke, das ist simpel. Ein Leben mit Arbeit, die einem viel bedeutet und Freude gibt, kann sehr erfüllend sein. Nicht alles ist Anerkennung und Van Gogh ist schon seit über 100 Jahren tot. Vielleicht wäre er gar nicht glücklich damit gewesen zu sehen, was für Menschen nun seine Gemälde besitzen.“
Ich denke damit hatte sie recht. Van Gogh malte in Arles mehrere Gemälde von den berühmten Sonnenblumen.
Eines befindet sich im Privatbesitz eines Milliardärs in den USA.
Eines wurde im Zweiten Weltkrieg durch ein Feuer zerstört.
Fünf weitere hängen in berühmten Museen auf der ganzen Welt. In München, London, Philadelphia, Tokio und Amsterdam.
Keines ist hier in Arles. Der Abend zog hin und am nächsten Morgen war mein Frieden zurück.
In einem Brief an seinen Bruder Theo schrieb Vincent Van Gogh, der stets mit dem unverkennbaren Schriftzug Vincent unterschrieb:
„... Ich bin ein Künstler ... diese Worte implizieren naturgemäß ein ständiges Suchen, ohne jemals vollständig zu finden. Es ist das genaue Gegenteil von: Ich weiß es schon, ich habe es schon. Nach meinem besten Wissen bedeuten diese Worte: Ich suche, ich strebe, mein Herz ist darin.“
Ich war einmal auf einer Geschäftsreise in Orlando, Florida. Die Projektleiterin des Kunden hieß Christie und kam aus Texas. Ihr Akzent war rauchig. Sie war geschätzt 40 Jahre alt und knapp 1,60 groß. Im ersten Small Talk erzählte sie mir, dass sie gestern einen Alligator in ihrem Gartenteich zu Gast hatte. Ich erzählte von dem grausigen Wetter in Deutschland. Wir verstanden uns. Sie mochte es, dass ich da war.
Nach den ersten kleinen Projekterfolgen lud sie mich am vierten Tag zum Mittagessen ein. Wir gingen zum Parkplatz. Es war heiß, mein Hemd klebte sofort. Sie stieg in ein Auto, breiter als jeder Mercedes, den ich je gesehen hatte. Ich musste schmunzeln, dass diese kleine Frau solch ein riesiges Fahrzeug fuhr. Sie steuerte es gut durch die breiten, amerikanischen Straßen. Im Radio lief Country.
Nach knapp 10 Minuten gelangten wir an einen großen Parkplatz, der von Fast-Food-Restaurants und Cafés umringt war. Das Ziel war der neue Sandwichladen. Als wir in der Schlange standen und ich sah, was die Kunden auf ihren Tabletts hatten, erschrak ich. Die Sandwiches waren so lang wie mein Unterarm und so hoch, dass ich mir nicht vorstellen konnte dort hereinzubeißen. Fast alle Optionen inkludierten mehrere Käsesorten. Christie bestellte etwas mit Bacon. Ich nahm etwas mit Thunfisch. Als Beilage bekam Christie eine große Tüte Kartoffelchips. Der Kassierer fragte „any drinks for you, Madam?“. Christie entgegnete „I‘ll go with the Diet Coke today, healthy lunch“. Dabei drehte sie sich zu mir und lächelte mir zu.
Sie meinte das ernst und wollte mir mit diesem Lunch etwas Besonderes bieten. Schließlich füllte sie dann sicher einen Liter Cola Light zusammen mit Eiswürfeln in einen großen Plastikbecher.
Was bei einem Gefallen zählt, ist seine Aufrichtigkeit und dass er von Herzen kommt. Kulturelle Unterschiede können wunderbar sein. Sich gelegentlich eine andere Realität zu bauen, auch.
In der Mittagspause fahre ich zur Wohnungsbesichtigung. Das Taxi passiert den Alexanderplatz, biegt links ab und fährt in eine alte Wohnsiedlung der DDR. Hier stehen fast nur Plattenbauten. Man spürt die Kälte der Geschichte. Es gibt keine kleinen, netten Cafés wie in Prenzlauerberg, oder in den Seitenstraßen des Ku’damms. Das ist kein Kiez.
Das Haus ist ein Neubau. Es wurde hier vor einem Jahr direkt über einen Supermarkt gebaut. Bestimmt eine gute Investition. Ich schaue mir die Autos auf der Straße und die wenigen Fußgänger an und denke, dass dies eine gut bürgerliche Wohngegend ist und hier keine Gefahren auf mich warten, auch wenn ich nachts allein von einer Bar nach Hause gehen werde. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Grundschule.
Ich habe eine Flasche Wein mit und werde vor der Tür vom Makler empfangen. Normalerweise gibt es hier nur Massenbesichtigungen. Am Nachmittag würde er wieder 20 Personen innerhalb einer Stunde durch die Wohnung führen. Er wolle mir aber kurzfristig die Chance geben, weil er meine Kontaktanfrage auf der Internetplattform sympathisch fand. Die Anzeige hatte er nach einer halben Stunde wieder gelöscht. Es waren zu viele Nachrichten.
Ich freue mich, gebe dem Mann die Flasche und trete in die moderne, nicht wohnliche, sondern nützliche Haustür ein. Das sei nicht nötig und das wolle er nicht annehmen. Ich bestehe darauf. „Wir müssen in den dritten Stock“, sagt er und geht durch das Treppenhaus. Es gibt auch einen Aufzug. Der Mann ist schon über siebzig, hat zittrige Hände, eine etwas brüchige Stimme und ist sehr dünn. Er hat leichte Probleme die Tür mit dem Schlüssel zu öffnen. Wir gehen in die Wohnung. Während er mir Details nennt, schaue ich mich um. Auf dem Boden liegt Industrieparkett. Recht schön, wie ich finde. Moderne Küche. Separates Bad. Ein Schlafzimmer, das Licht fängt. Zwei Dinge sind mir wichtig: die Badewanne und der Balkon. Zwischendurch reden wir ein wenig über alltägliches. Er erzählt von einer anstehenden Reise mit seinem Kegelverein. Nach 10 Minuten bin ich überzeugt und sage, dass ich die Wohnung gerne nehmen würde. Er freut sich, sagt er fände es toll, dass ich die Wohnung wirklich wertschätzen könne, bedankt sich nochmals für den Wein und resümiert, dass er einen guten Eindruck von mir habe, ich seine erste Wahl werden würde, es aber schließlich am Vermieter hänge, dem er fünf Kandidaten präsentieren müsse.
Zwei Monate später ziehe ich ein. Ich gebe zum ersten Mal im Leben viel Geld für Möbel aus und frage eine befreundete Innenarchitektin nach der besten Stoffart für das Sofa und die Stühle. Ich habe einen wundervollen Esstisch aus Eichen Massivholz, den ich mit meinem Vater zusammen aus zwei alten Bierbänken, die aus dem Garten meines Großvaters stammen, gebaut habe. Es ist ein Kraftakt, ihn in die Wohnung zu bekommen. Nach und nach werden weitere Möbel geliefert. Ich fülle das Bücherregal. Meine Eltern schenken mir eine italienische Kaffeemaschine. Ich fühle mich wohl.
In Berlin fragen Menschen in meinem Umfeld zwei Fragen: „Was machst du beruflich?“, und „Wo wohnst du hier?“. Ich bin Startup Investor. Aktuell ist dies einer der gefragtesten Berufe überhaupt. Auf einen Job kommen weit über 100 Bewerbungen. Meinen Chef hatte ich auf der Straße am Rosenthaler Platz kennengelernt, aber das ist eine andere Geschichte. Auf meine Antwort zur zweiten Frage bekomme ich keine ehrlichen Reaktionen. Ich merke, dass „in der Nähe des Alexanderplatz“ nicht gut ankommt. Die Gesprächspartner erwidern zwar Dinge wie „Oh, das ist doch toll, sehr zentral“, aber ich spüre eine kleine Herabsetzung, die mir missfällt. Nach sechs Monaten ändere ich die Antwort.
„Ich wohne hinter dem Kino International. Kennst du das?“. „Oh, nein, aber das ist ja toll, dass du in der Nähe eines Kinos wohnst. Gehst du gerne ins Kino?“.
Ich liebe Kinos, aber finde selten Gelegenheit für einen Besuch. Erst nach etwas mehr als zwei Jahren zwinge ich einige meiner Arbeitskollegen in einen neuen Film von Wes Anderson. Der Film enttäuscht. Wes Anderson hat sich zu sehr kreativ ausgelebt und eine Überheblichkeit in den Film eingebaut, die den Zuschauer verwirrt und unwohl zurücklässt. Dazu gibt es kein Popcorn. In welchem Kino gibt es kein Popcorn?
Aktuell wird ein Film gezeigt, den ich unbedingt sehen will. Ich gehe zum ersten Mal allein in das Kino International. Der Saal wurde zuletzt 2019 Denkmal-gerecht renoviert. Das Kino diente in der DDR als Premierenkino. Bei der Uraufführung 1981 saß Erich Honecker in der ersten Reihe. Ich finde die Atmosphäre nostalgisch. Ich setze mich links hinten in eine der oberen Reihen und trinke ein Radler. Der Film ist belanglos. Nichts Besonderes.
Als ich nach der Vorstellung meinen 150 Meter weiten Heimweg laufe, denke ich „du wohnst hinter dem Kino International und hast dort innerhalb drei Jahren zwei Filme gesehen. Was ist es, dass dich so erfreut, dass dieses Kino genau hier steht?“.
Man unterschätzt den Wert von Optionen.
Nach sechs Monaten sprechen wir wieder. Ein vertrautes Gefühl. Sie berichtet, dass sie täglich an mich denken müsse, von mir träume und sich ihre Zukunft nur mit mir an ihrer Seite vorstellen kann. Ihrer Familie ginge es gut. Nur ihre Großmutter sei ein wenig depressiv geworden und weine häufig, auch bei Kleinigkeiten. Neulich habe sie bei einem Treffen mit ihr meinen Namen erwähnt, worauf sie sofort geweint und gesagt habe, dass wir zwei doch füreinander geschaffen waren. Sie habe Angst, dass ihre Enkelin keinen guten Partner mehr finden würde.
Dabei ist sie erst 24. Ich bin sechs Jahre älter.
Ich rede über meine Arbeit und mein Leben in Berlin. Es ginge mir gut. Es laufe so wie geplant. Mein Chef hätte ein neues Projekt für mich und ich könnte mich dort so unternehmerisch entfalten, wie ich es immer gewollt habe.
Sie hat sich nie mit Berlin identifiziert und die Stadt nie gemocht. Wir diskutieren offen, ob es sinnvoll sei, eine neue Beziehung zu führen. Ich sage, dass wir reinen Tisch machen müssen, um uns irgendwann wieder vertrauen zu können. Ansonsten würde man wieder auf alten Lügen aufbauen. Dabei sagt etwas in mir, dass auch ich sie noch liebe.
Zwei Wochen später telefonieren wir. Weinend berichtet sie, dass sie mich mit drei Männern, die ich alle flüchtig persönlich kenne, betrogen habe. Sie habe sich von mir nicht mehr wertgeschätzt gefühlt und eines Tages habe sie einfach nicht mehr nachgedacht.
Ich bin nicht überrascht. Es fühlt sich fast wie eine Erleichterung an. Wenn man wirklich liebt, merkt man, wenn der Partner sich entfernt.
Sie liebe mich noch immer und wolle einen Weg finden, sich zu ändern.
Ich frage mich, was ihre Großmutter dazu sagen würde.
Kurz nach der Trennung mit meiner Ex lerne ich eine junge Frau kennen, die mir schon eine Weile bekannt war.
Wir treffen uns zum ersten Mal auf der örtlichen Kirmes, fahren zusammen Riesenrad. Sie stellt mir einen Freund vor. Wir trinken ein paar Bier in einer größeren Gruppe. Sogar mein Cousin aus Österreich ist an dem Abend da. Sie überrascht mich mit einer außerordentlich positiven Art. Dazu hat sie etwas sehr spezielles, spontanes, kreatives, fast verrücktes.
Wir gehen nochmals zu zweit über den Kirmesplatz. Irgendwann küssen wir uns. Danach gibt es ein paar Dates, die ausnahmslos gut sind. Leider studiert sie in einer anderen Stadt. Ich ziehe gerade nach Berlin. Obwohl fast alles passt, ergibt sich keine Beziehung.
Kurze Zeit später ist sie mit einem anderen zusammen. Relativ schnell folgt eine Verlobung. Ich bin überrascht. Zugegebenermaßen ärgere ich mich ein wenig.
Als ich im Sommer darauf im Golf von Biskaya am Strand von San Sebastián liege, den Atlantik rauschen höre und das Meersalz auf der Zunge schmecke, denke ich an sie und werde wehmütig.
Einer meiner Lieblingsautoren, Yung Pueblo, predigt die Kunst, ≪loszulassen≫. Als ich dazu an all die tollen Bücher von Ernest Hemingway, Ferdinand von Schirach und Haruki Murakami denke, erkenne ich es. Eine Geschichte kann kurz sein, aber dennoch gut.
Danach schließe ich die Augen, atme tief durch, richte mich auf, und sprinte in die Wellen.
Das Taxi bringt uns zum Marina Bay Sands. Man kennt das Hotel. Das ganze Gebäude sieht aus wie ein auf Stelzen stehendes Boot und ziert Postkarten von Singapur. „Lass uns hier schon einmal einen Aperitif trinken“, sagte mein Freund Timothy Wang, der nun hier lebte und mich auf meiner Asienreise auf einen Zwischenstopp eingeladen hatte.
In der etwas zu gut klimatisierten, weitläufigen Lobby wird man normalerweise zuvorkommend begrüßt. Heute herrscht Hektik. Am Nachmittag haben sich Kim Jong-un und Donald Trump für ein Treffen angemeldet. Es braucht neutralen Grund und Singapur vermittelt. Wir umgehen ein paar Sicherheitsleute und gehen zu den Fahrstühlen. Ich wundere mich, dass man sich hier trotz dieser hohen Staatsangelegenheit frei bewegen kann. Im Fahrstuhl übergibt mir Timothy dann plötzlich eine Zimmerkarte. In seinen Augen sehe ich ein Funkeln der Vorfreude, gemischt mit einer Spur Nostalgie. Es sei eine Überraschung, auf die er sich schon lange gefreut habe. Die Kosten würde er übernehmen. Er sei mir einfach dankbar für alles.
Manchmal trifft man jemanden, der inspiriert, ohne es zu wissen. Timothy begegnete ich zum ersten Mal in Barcelona. Mit Anfang zwanzig wohnte ich hier. Ein Auslandssemester. Spanische Leichtigkeit, Sonne, der Beginn eines neuen Lebens. Meine einzigen Überlegungen waren, was ich abends unternehmen würde. Die Pläne machten sich aber immer von selbst.
Timothy lebte in einer 9-er WG. Ich war zu Besuch. Wir wollten bis mindestens 24 Uhr dort bleiben, um die teuren Drinks im Club zu umgehen. Mein spanischer Freund, der seltsamerweise Luigi hieß, hatte mich eingeladen. Er war groß, gut aussehend und hatte den Körper eines spanischen Matadors. Ich war gewissermaßen sein dünneres, und etwas kleineres Ebenbild. Auch das kam gut an. Zusammen hatten wir es leicht, egal wo wir waren. Gegenwart und Zukunft gehörten uns. Selbstzweifel und Sorgen könnten uns später einholen. Nun wollten wir einfach genießen.
Timothy war anders. In Wuhan geboren durchlebte er das strenge chinesische Schulsystem und wuchs in einer unscheinbaren, gut bürgerlichen Familie auf. Sein eigentlicher Name war Xao. Die meisten Chinesen geben sich einen neuen westlichen Namen, wenn sie ins Ausland gehen. Ich hatte das nie verstanden. Xao hätte man sich auch gut merken können. Mit 18 nahm er an der großen Eignungsprüfung für Universitäten, der „Gaokao“ teil. Neun Stunden Prüfung über zwei Tage. Über zehn Millionen Chinesen machen das jedes Jahr. Timothy schaffte es in die Top 5 Prozent. Ein hervorragendes Ergebnis, aber nicht gut genug für die elitären Universitäten. Sein Leben war nun vorgezeichnet. Fünf Jahre Studium, dann ein Job in einer chinesischen Bank. Vielleicht hätte er sich eines Tages ein Haus kaufen können.
Mit dem Fahrstuhl fahren wir ins Zimmer. Bodentiefe Fenster, große Vorhänge, Ausblick auf die futuristisch wirkenden „Gardens by the Bay“. Gerade angekommen schlägt Timothy vor, zum Pool zu gehen. Im Bademantel machen wir uns auf den Weg.
Singapur liegt direkt am Äquator. Täglich herrscht dasselbe Klima: 30 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit und eine trübe Sonne. Im 146 Meter langen Pool tut die Abkühlung gut. Die Aussicht ist einmalig. Man sieht die ganze, moderne Stadt. „Drei Jahre muss ich noch hier wohnen, dann bin ich frei“, sagt Timothy, als wir an der Poolkante lehnen und in die Ferne schauen. Plötzlich zeigt er auf ein Gebäude, streckt seinen Mittelfinger aus und sagt „Da arbeiten meine schweinischen Kollegen. Ich hab mich heute krank gemeldet. Sollen die doch alle arbeiten bis zum Gehtnichtmehr“. Timothy suchte einen Ausweg zu seinem einengenden chinesischen Werdegang. Singapur war die Lösung. Dafür schrieb er sich hier an einer weltweit führenden Universität ein, musste sich allerdings verpflichten dann auch mindestens fünf Jahre zu bleiben. Nun arbeitete er in einer Bank. Allein die Gehaltserhöhung, die er gerade bekommen habe, würde die drei Nächte, die wir uns jetzt gönnen würden, bezahlen. Wieder einmal wunderte ich mich über Timothy.
Damals, in dieser Nacht in Barcelona war für Luigi und mich alles wie immer. Wir tranken San Miguel, hörten spanischen Reggaeton, tanzten mit ein paar eingeladenen Mädels im Wohnzimmer, lachten und freuten uns. Timothy, ebenfalls hier im Auslandssemester, saß lächelnd mit einem Bier in der Hand auf dem Sofa in der Ecke, als ich ihn aufforderte mitzutanzen. Er wollte nicht und lachte verlegen. Als unser damaliger Lieblingssong „Vivir Mi Vida“ lief, zwangen wir ihn schließlich. Es bildete sich eine kleine Traube im Wohnzimmer. Wir umringten Timothy und klatschten. Er tanzte ausgelassen und imitierte Luigi. Der Beginn einer Freundschaft.
Nach einer Stunde Hektik am Pool. Hinter gut und gern 20 Sicherheitsleuten erscheinen Trump und Kim auf dem Außendeck. Sie werden von einer Person, die entweder der Hoteldirektor, oder ein hohes Tier aus Singapur sein muss, herumgeführt und bestaunen den Pool. Die Szene ist bizarr. Natürlich ist es immer noch heiß und stickig. Zwei der weltweit mächtigsten Männer, schwitzend im Anzug mit Krawatte, lachen und scherzen. Die Stimmung ist gut. Sie wirken einfach. Mein Puls schießt hoch. Ich werde nervös. Kurzer Augenkontakt mit Kim. Er wirkt sympathisch, wie ein normaler Mann. Trumps blonde Tolle weht im Wind. Nach drei Minuten ist das Schauspiel vorbei und die beiden gehen wohl in einen Konferenzsaal. Ich bin fasziniert. Das konnte man nicht erwarten. Ich frage Timothy was zum Teufel wir beiden nun gerade erlebt hatten. Timothy resümiert, dass beide genauso fett sein, wie er es sich vorgestellt hatte. Er sei es leid, dass solche alten degenerierten Männer die Welt beherrschten. Wir bleiben noch eine Weile im Wasser. Dann gehen wir zur Poolbar. Wie damals in Barcelona bestellt Timothy seinen Lieblingsdrink: Piña Colada. Ich war nie ein großer Fan von Piña Colada, aber es ist ok. Ein Funke Nostalgie wertet jeden Drink auf. Wir stoßen auf die Freundschaft und den bevorstehenden Abend an.
In Barcelona wurden Luigi, Timothy und ich zu einem Dreigespann. Fast jeden Abend waren wir zusammen. Wir erlebten viele schöne Geschichten. Luigi verliebte sich in eine Dänin, die er später heiraten würde. Ich verliebte mich in eine bildhübsche Russin, die mich nach einer Zeit für einen Fußballspieler des FC Barcelonas hängen ließ. Die beiden bauten mich schnell wieder auf. Timothy fand langsam unsere Leichtigkeit.
Manchmal wurde Timothy emotional. Eines Abends weinte er. Er sei im Vergleich zu uns hässlich und wir hätten so schöne große Nasen und Augen. Er würde sich seit Geburt diskriminiert fühlen, habe keine Chance bei Frauen, hatte noch nie einen Kuss. Wir trösteten ihn. Eines Abends, als wir betrunken von einem Club nach Hause liefen, hielten wir zum Wildpinkeln in einem Park. Wieder weinte Timothy. Er müsse genauso dringend, aber könne nicht. In seiner Heimat würde er dafür ausgepeitscht werden und er würde die Hiebe spüren. Wir versuchten ihn zu beruhigen. Vergebens. Später einmal saß Timothy inmitten einer Party in Barcelonas Sonne mit offenem Hemd auf Luigis Schultern und zog an einem Joint. Hierfür hätte in einigen asiatischen Ländern die Todesstrafe gedroht.
An unserem letzen gemeinsamen Abend im Auslandssemester saßen wir am Wohnzimmertisch von Luigi's 9-er WG. Nur wir. Die anderen waren ausgegangen. San Miguel aus Dosen. Später tanzten wir zu unserem Lieblingssong und versprachen uns ewige Freundschaft. Diesmal mussten wir alle einige Tränen wegstreichen.
Nach drei fantastischen Tagen mit Timothy in Singapur bin ich am Gate des Flughafens und warte auf meinen Flug nach Shanghai. Ich recherchiere auf meinem Handy, ob das Treffen zwischen Kim und Trump etwas gebracht hat. In einem gemeinsamen Statement veröffentlichten beide Regierungen, es sei ein großer Erfolg gewesen. Die USA gäben Sicherheitsgarantien und entschärfen Sanktionen. Nordkorea würde sich für Frieden einsetzen und eine Entnuklearisierung fördern. Trump twittert über Kim „Große Persönlichkeit und sehr intelligent. Eine gute Kombination. Er ist ein würdiger Verhandlungsführer. Er verhandelt im Namen seines Volkes, ein sehr würdiger, sehr kluger Verhandlungsführer, absolut. Wir hatten einen großartigen Tag und haben viel übereinander und über unsere Länder gelernt.“ Das Ganze kommt mir komisch vor. Ich recherchiere weiter. Ein paar Monate vor dem Meeting war der Tonfall noch anders: „Kim Jong Un aus Nordkorea, der offensichtlich ein Wahnsinniger ist, dem es nichts ausmacht, sein Volk verhungern zu lassen oder zu töten, wird auf die Probe gestellt werden wie nie zuvor!“ Kim reagierte damals: „Die gesamten Vereinigten Staaten sind in Reichweite unserer Atomwaffen, und auf meinem Schreibtisch liegt immer ein Atomknopf. Das ist die Realität, keine Drohung.“ Timothy hatte recht mit seiner Einschätzung.
Fünf Jahre später sitze ich in einer Bar in Hamburg, als mich eine Nachricht von Timothy auf dem Handy erreicht. Er müsse mir etwas Wichtiges mitteilen. Er würde das nur seinen besten Freunden sagen und es könne sein, dass ich ihm danach die Freundschaft kündigen würde. Ich bin gespannt und schreibe, er solle es einfach sagen.
Nach zwei Minuten die Nachricht: Er sei schwul, lebe nun in Australien und habe einen Amerikaner geheiratet, der ihm nach Australien gefolgt sei.
Ich denke an Luigi's WG. Der Abend startet. San Miguel aus Dosen. Spanische Musik. Timothy sitzt auf dem Sofa in der Ecke und lächelt in die Menge. „Du hast es endlich geschafft, mein Freund“, denke ich. Dann bestelle ich einen Piña Colada und stoße aus der Ferne auf ihn an.
An einem eisigen Samstagabend im Februar treffen wir uns in einem schicken Restaurant in Berlin-Mitte, das so exklusiv ist, dass selbst die Luft arrogant wirkt. Bei unserer Ankunft erhalten wir die Anweisung, uns vorerst im Foyer zu gedulden. Das Restaurant gehört zu einem Hotel, das wiederum zu einem globalen Members-Club gehört. Nur ausgewählte Personen sind erwünscht. Man muss früh reservieren, um einen Tisch zu ergattern. Nach einer halben Ewigkeit wird uns einer der schlechtesten Tische zugewiesen. Wir protestieren, aber keine Chance. Der Laden ist zu beliebt. Als normaler Kunde ist man hier schon lange nicht mehr König. Man kann eher froh sein, überhaupt bedient zu werden. Meistens sieht man hier Prominente. Man kann sich die Nachbartische anschauen und fantasieren.
Weil wir uns mit unserem normal sterblichen Schicksal abgefunden haben, ist die Stimmung an unserem Tisch, trotz aller Widrigkeiten, gut. Die Männer bestellen Bier, die Frauen Espresso Martini. Neben uns stellen die Kellner, die klassische weiße Schürzen und rote Fliegen tragen, Tische zusammen. Eine große Tafel wird gedeckt. Es erscheint eine Jugendbande. Teure Jacken, Jogginghosen. Ein paradoxes Modestatement. Sie reden laut. Vielleicht planen sie eine Revolution, oder wählen die Pasta für den Hauptgang.
Dann kommt er - Gesichtstattoos, Mütze, eine Kette, die in der Dunkelheit leuchtet - der Anführer. Ihn umgibt eine Aura, die den Raum füllt. Die Gruppe verstummt. Wir spekulieren. Vielleicht ein südamerikanischer Drogenbaron. Oder ein Fußballstar. Oder beides. Die Kellner behandeln ihn zuvorkommend.
Ich gehe zum Herren WC. Gleichzeitig steht er auf und folgt. In der Kabine neben mir, zieht er sich irgendwas in die Nase. Danach verlässt er den Raum, ohne sich die Hände zu waschen. Ich schüttele den Kopf. Die Jugend von Heute? Manchmal ist das Leben ein Klischee.
Wir verlassen das Lokal. Ich frage einen aus der Gruppe "Was macht ihr hier?". Er sagt, sie seien "nur ein paar Freunde aus London". Sie lachen. Ich lache. Wir alle lachen. Sie stiegen in Limousinen. Groß, schwarz, wie in einem Spionagefilm.
Am nächsten Tag schickt eine Freundin einen Ausschnitt der Berliner Tageszeitung. „Schaut mal, das war doch der Typ von Gestern. Die waren vor dem Konzert noch zusammen essen“. „Oh mein Gott“, reagiert eine andere Freundin, „ich höre ständig die Musik von ihm, der ist bei der Gen-Z super angesagt, ein Megastar“.
Ich checke sein Social Media Profil – über 10 Millionen Follower. Er ist Rapper. Ein großer Teil seiner Berühmtheit beruht auf kurzen viralen Videos, die Kinder mit seiner Hitsingle drehen. Hört man die Melodie, geht sie tatsächlich schwer aus dem Kopf.
Nachts im Bett bin ich nachdenklich. Da sitz er wieder vor meinem bildlichen Auge, umgeben von seinen treuen Jüngern der Gen-Z. Er hat die Aura eines jungen Künstlers, der die Welt erobert – oder zumindest das Internet. Ich, Anfang 30, aufgewachsen in einer Zeit, in der "TikTok" noch das Geräusch einer Uhr war, fühle mich plötzlich wie ein alter Mann, der versucht, die Fernbedienung zu bedienen. Die nächste Generation ist angekommen, und sie ist anders. Sie hat ihre eigenen Regeln, ihre eigenen Werte, ihre eigene Kultur.
Wenn man lang genug in dieser Stadt unterwegs ist, lernt man zwangsläufig: sie ist ein Zuhause für Jedermann. Für junge Götter, und alte Besucher.
Ein Künstler einer noch älteren Generation, Herbert Grönemeyer, würde dazu sagen "Oh, es ist schon ok. Es tut gleichmäßig weh".
Der jüngere Bruder unseres Italieners war talentierter Fußballer. Seine Zukunft war golden. Mit bereits siebzehn spielte er in der U19 Bundesliga und durfte stellenweise bei der ersten Mannschaft trainieren. Er spielte in der Jugend-Nationalmannschaft der Italiener und Jugend-Championsleague bei genau jenem Verein, den man bei uns in der Gegend so liebt. Der damalige, durchaus renommierte Trainer der Profis lobte ihn als pfeilschnell und technisch versiert. Wenn man so will, lebte er den Traum vieler Siebzehnjähriger.
Dann passierte es. Bei einem Testspiel verdrehte er sich so stark das Knie, dass das Wadenbein schief stand und im Zuge einiger OPs fast amputiert werden musste. Es war unklar, ob er jemals wieder Fußball spielen, geschweige denn sein Bein korrekt bewegen könne. Die Bilder der Verletzung gingen um die Welt. In Deutschland konnte man in vielen Zeitungen davon lesen. Die Anteilnahme war riesig. Ein brasilianischer Superstar sendete per Video Genesungswünsche. Auch italienische Legenden richteten sich an den Jungen. Das muss ihn ein wenig getröstet haben.
Mich nahm das mit, weil ich unseren Italiener schon länger kannte und er häufig stolz von seinem talentierten Bruder berichtete. Unser Italiener startete damals mit einer kleinen Pizzeria, die durch Qualität bestach und mittlerweile führte er das schönste Restaurant der Stadt. Er hatte eine Institution geschaffen. Gute und harte Arbeit zahlt sich aus.
Knapp einen Monat nach der Verletzung des kleinen Bruders haben wir wieder einen Tisch reserviert. Familientradition, wie so einige Freitage. Immer wenn man hierherkommt, begegnet man jemanden, den man kennt. Die Räumlichkeiten sind perfekt. Das Restaurant steht neben einer idyllischen Wiese auf Stelzen direkt am Ufer des heimischen Flusses. Nur ein Hauptsaal, von Boden tiefen Fenstern umringt, weitläufig, aber nicht überdimensioniert. Über uns das hohe alte Satteldach, wie in einer alten Scheune. Der Boden aus feinem Holzparkett und in der Mitte eine tolle Bar, hinter der sich der alte Pizzaofen befindet. Der Restaurantchef, ein echter Sizilianer natürlich, empfängt uns mit einem lockeren Spruch.
Als die ersten Getränke serviert sind, kommt unser Italiener zum Tisch und begrüßt uns auf seine liebevolle Art. Er ist gut gelaunt, war gerade im Heimaturlaub und berichtet von spannenden neuen Weinen auf der Karte, die er selbst bei den Gütern verköstigte. Wie immer unterhalten wir uns herzlich und lachen. Dabei merke ich jedoch, dass die Tragödie seines Bruders unausgesprochen, wie ein grauer Schleier, zwischen uns hängt. Trotz der guten Stimmung macht sich in meinem Magen ein flaues Gefühl breit. Obwohl ich gelernt habe, dass es besser ist, solch heikle Themen anzusprechen, statt sie zu meiden, gelingt es mir nicht. Wahrscheinlich ist es eine Angst, diesen friedvollen und stets gut gesinnten Menschen traurig zu erleben.
Schließlich ist es mein Vater, der in solchen Momenten oft ein besonders emphatisches Feingefühl hat, der die passenden Worte findet.
Als unser Italiener dann wirklich, ohne zu zögern, offen seine Gedanken ausführt, hat er das gleiche Strahlen in seinen Augen, dass er immer hatte, wenn er über seinen Bruder sprach. Nur seine Schultern hängen tiefer und auch seine Stimme ist gelegt und monoton.
Er resümiert, dass dies alles wirklich ein harter Schlag sei und die ganze Familie beteiligt ist, den Jungen wieder aufzubauen. Er selbst würde ihn zweimal die Woche zur Reha fahren. Wir erkundigen uns nach den Heilungschancen. „Das sieht nicht besonders gut aus. Offen gestanden hat nur er selbst noch Hoffnung. Vielleicht bewirkt das ja noch Wunder. Aktuell kann er kaum seine Zehen bewegen. Es wird mindestens noch ein Jahr, wenn nicht länger, dauern, bis er überhaupt wieder auf den Platz kann.“ Er erklärt noch mehr Details zur Diagnose und wie spezialisierte Ärzte die Reha unterstützen. Auch habe der Verein aus Rücksicht noch ein weiteres Jahr den Vertrag verlängert, damit die optimale Versorgung gewährleistet werden würde. Irgendwann würde die Zeit aber ablaufen.
Wir sind bestürzt. Damit hatten wir nicht gerechnet. Die Details deuten auf erschreckend geringe Comeback-Chancen hin. Es ist grausam zu hören, wenn ein Traum eines jungen Menschen kurz vor der Zielgeraden zerplatzt.
Nachdem es nun wirklich schwer wird, die richtigen Worte zu finden und eine kurze Stille einzieht, fängt unser Italiener plötzlich an zu grinsen, hebt seine Schultern, schlägt kurz in die Hände und sagt: „Na ja, so ist das eben. Wenn das nichts wird, dann wird er eben Pizzabäcker. So wie sein Bruder.“ Noch immer leuchten seine Augen.
Dann dreht er ab, geht hinter die Bar und zapft eine neue Runde Getränke.
Was ist heutzutage eigentlich normal?
Was wird in 6 Monaten unser "Normal" sein?
Wie findet man sich überhaupt noch zurecht?
In meinen Geschichten geht es nicht darum, etwas zu lernen, sondern um das Leben in dieser Zeit.
... um die kleinen, wichtigen Dinge, die wir schnell vergessen.
... um das Sein und Zurechtfinden. Nicht mehr, nicht weniger.
... um den lokalen Italiener, den wir ins Herz geschlossen haben.
... um die große Liebe, großes Glück und große Enttäuschungen.
... um Druck und trotzdem um Leichtigkeit.
Vielleicht ergibt das für Sie ein Gesamtbild. Jedenfalls danke ich Ihnen dafür, dass Sie hier lesen und wünsche viel Freude dabei.
Ich habe mal darüber nachgedacht was ich suche und ob ich eigentlich angekommen bin. Aber kann man das eigentlich noch?
Manchmal fühlt es sich so an, als stände ich mit einem Fuß in einem Leben, das ich kenne und verstehe, und mit dem anderen in einem, das noch geschrieben werden muss. Wie ein Pendel zwischen Vergangenheit und Zukunft, suche ich den festen Boden der Gegenwart.
Irgendwas sagt, ich bin halb angekommen.